Vielfalt der Aufstellungsarbeit und ihr Herzstück – ein Erfahrungsbericht

„Jeder Jeck leitet anders!“ 

Als ich vor gut 15 Jahren mit der Aufstellungsarbeit anfing, leitete ich mit einer systemischen Therapeutin zusammen die ersten Aufstellungsgruppen. Wie oft dachte ich damals als meine Kollegin eine Intervention machte: „So kann das nicht gehen! Das ist doch falsch!“ 

Doch zu meiner Überraschung fand sie oft gute Lösungen. Und dann merkte ich in der Reflexion mit Ihr, dass sie oft das gleiche angesichts meiner Interventionen dachte. 

„Ja, jeder Jeck ist anders!“, denke ich diese Tage und es gibt viele gute Ansätze in der Aufstellungsarbeit, die zu Lösungen führen. Aber beliebig ist es auch wieder nicht …

In der Zeit, die ich diese Arbeit jetzt mache, habe ich verschiedene Phasen erlebt: Kennenlernen und Staunen zu Beginn, später Vertiefen und Differenzieren, und schließlich Lehren und Reflektieren in den letzten sieben Jahren als Weiterbildner für zukünftige AufstellungsleiterInnen. 

In der Vogelperspektive hebt sich Hintergrund vom Vordergrund ab…

Jetzt schaue ich immer mehr aus einer Vogelperspektive auf diese Arbeit und bin nach wie vor fasziniert, aber nicht mehr naiv gläubig. Mit mehr Erfahrung und Abstand hebt sich der Hintergrund vom Vordergrund ab. Ich erkenne, was trägt und welche verschiedenen Wege man gehen kann…

Hintergrund und Herzstück: Die Arbeit mit Körpern im Raum

Das Herzstück, der Hintergrund des Bildes, ist für mich die Arbeit mit StellvertreterInnen und ihren Körpern im Raum: Die Verkörperung von Beziehungssystemen. Dadurch unterscheidet sich Aufstellungsarbeit von vielen anderen Ansätzen in Beratung und Therapie. In Aufstellungen – gleich ob mit Gruppen oder in der Einzelarbeit – macht man tatsächlich neue Beziehungserfahrungen, welche problematische frühere Beziehungsmuster korrigieren. Das ist etwas ganz anderes als alte Beziehungserfahrungen zu analysieren und zu neuen Einsichten zu kommen. In Aufstellungen geht es um neues Erleben oder ganzheitliches Lernen neuer Muster. 

Ein Beispiel: „Ich trage zu viel Verantwortung für andere!“

Ein häufiges problematisches Beziehungsmuster, mit denen KundInnen kommen, ist das Tragen von zu viel Verantwortung für andere. Viele Menschen – gerade in helfenden Berufen – bringen dieses Muster, zugespitzt als „Helfersyndrom“ bezeichnet, mit. Erlernt ist es meist in der Kindheit, wenn jemand schon sehr früh, z.B. im Zuge der Trennung der Eltern, Verantwortung für Geschwister oder für ein trauriges und überfordertes Elternteil übernehmen musste. Kinder sind hier sehr feinfühlig und aus existentieller Sorge um das Familiensystem bereit, weit über ihre Kräfte hinaus zu tragen und sich für andere aufzuopfern.

Körperlich zeigt sich dies häufig in einem Gefühl von Schwere im Bereich der Schultern und der Brust. Eine hilfreiche Lösungsintervention in der Aufstellungsarbeit ist dann die symbolische Rückgabe der für andere stellvertretend getragenen Last. Diese kann dann in einer Aufstellung, symbolisiert z.B. durch einem Stein an einen Stellvertreter der Person, welche die Verantwortung damals eigentlich hätte tragen müssen – häufig Mutter oder Vater – zurückgegeben werden. 

Die Wirkung dieses Rituals ist unmittelbar als körperliche und emotionale Entlastung spürbar. KundInnen atmen durch, fühlen sich freier und kommen wieder in Kontakt mit ihrem „inneren Kind“, d.h. ihrer Autonomie und ihrer kindlichen Lebensfreude und Leichtigkeit. Dies ist eine neue Beziehungserfahrung, nämlich das Erleben einer Beziehung, in der man die Belastung beim erwachsenen Gegenüber lässt, statt diese für den anderen zu übernehmen. 

Vordergrund und Vielfalt:
Verschiedene Ansätze, wie Probleme und Lösungen entstehen

Aufstellungsarbeit ist nicht gleich Aufstellungsarbeit. Es gibt inzwischen viele unterschiedliche Ansätze oder Theorien dazu. Das klassische Familienstellen nach Hellinger geht davon aus, dass „Verstrickungen“ in Familiensystemen mitunter sogar über mehrere Generationen wirken, da Nachkommende stellvertretend für Vorherkommende aus vorhergehenden Generationen, Aufträge, Schuld, Geheimnisse, Emotionen übernommen haben, ohne es zu wissen. Indem diese Dynamik in Aufstellungen sichtbar gemacht wird, kann sie bewusst gemacht und gelöst werden.

Die systemische Selbstintegration nach Langlotz dagegen ist gegenwartsorientierter, arbeitet mit dem inneren psychischen System des Kunden und verändert direkt seine Verhaltens- und Beziehungsmuster, die aufgrund wie auch immer gearteter vergangener Beziehungserfahrungen entstanden sind: Wie ist die eigene Grenze? Kann ich sie angemessen schützen? Wie bin ich in Kontakt mit mir Selbst, meinen eigenen Bedürfnissen und Impulsen? Kann ich ihnen ausreichend Raum zum entfalten geben und für sie einstehen?

Wieder andere Ansätze nutzen die in der Psychologie gut erforschte Bindungstheorie als Grundlage und rücken in Aufstellungen und Aufstellungsgruppen disfunktionale Bindungsmuster bzw. gute Bindungserfahrungen durch schützende Beziehungen in den Vordergrund.

Der Ansatz der Strukturaufstellungen (SySt) von Mattias Varga von Kibéd und Insa Sparrer basiert auf systemischen und hypnotherapeutischen Grundlagen. Nach diesem Ansatz entstehen Probleme aufgrund von nicht zieldienlichen Beziehungsstrukturen, z.B. der Überlagerung von privaten und beruflichen Kontexten oder einer Dilemmaposition, wenn man „zwischen zwei Stühlen steht“ und sich hin und hergerissen fühlt. Interventionen dienen der Unterschiedsbildung durch Erproben alternativer hilfreicherer Beziehungsstrukturen. 

Wieder andere Ansätze rücken die Selbstregulation des Kunden ins Zentrum. Die Art, wie Gunther Schmidt seinem hypnosystemischen Ansatz folgend bewegte Aufstellungen, die er „Choreografien“ nennt, nutzt, ähnelt in der aktiv gestaltenden Rolle der Kunden dem Psychodrama. Leitfage ist hier, was für den Kunden die optimal zieldienliche Anordnung seiner im Raum mit Stellvertretern dargestellten inneren Bilder ist. Dies gilt es spielerisch auszuprobieren und über das körperliche Feedback zu optimieren.

Die Vielfalt der Aufstellungsansätze spiegelt die Vielfalt der Beratungsansätze bzw. Therapieansätze

Diese Vielfalt der Ansätze in der Aufstellungsarbeit ähnelt der Vielfalt der Ansätze in Beratung und Therpie. Die einen setzen auf Durcharbeiten der (Familien-)Geschichte, auf Verstehen und Bewusstmachen der Dynaniken. Die anderen auf direkte Veränderung der Beziehungsmuster durch Übungen anderer symbolischer Interaktionen. Und die systemischer geprägten suchen neue zieldienlichere Beziehungskonstellationen zu konstruieren. Wahlweise liegt der Fokus mehr auf der Vergangenheit, der Gegenwart oder der Gestaltung der Zukunft. 

„Hinten wird die Ente fett“ – eine pragmatische Sicht auf die Vielfalt in der Aufstellungarbeit

Aus meiner Sicht (einer systemisch-pragmatischen) ist kein Ansatz richtig oder falsch, sondern mehr oder weniger zielführend, je nach Anliegen und Persönlichkeit des Kunden, mit dem man gerade arbeitet. 

„Hinten wird die Ente fett“, gleich wie das Federkleid ist, könnte man sagen. Und so brauchen die einen das Verstehen ihrer Beziehungsmuster aus dem familienhistorischen Prägungen, oft auch um Verletzungen und Vorwürfe loszulassen und durch Verständnis zu Versöhnung und Annahme der eigenen Eltern und Geschichte zu gelangen. Anderen reicht es, zu verstehen, wie ihre Beziehungsmuster wirken und neue, zieldienlichere zu erlernen.

Lernen durch Feedback

Was aber dem nachhaltigen Wohl der Kunden dient, lässt sich letztlich nur durch Feedback erlernen und reift durch Erfahrung und Reflexion von Aufstellungsprozessen, in Weiterbildungen und Supervision. 

So frage ich meine KundInnen oft, was Ihnen geholfen hat und biete immer mehr Nachbearbeitungen von Aufstellungen an. Hilfreiche Lösungsbilder oder Muster lassen sich so festigen und der Prozess durch Reflexion vertiefen.

Und in meiner Weiterbildung zur Aufstellungsleitung lehre ich beides: Zum Einen die Basis, die Arbeit mit den Stellvertetern im Raum und deren repräsentierender Wahrnehmung, welche auch passend als das „Herzstück“ der Aufstellungsarbeit“ bezeichnet wird. Und zum Anderen verschiedene Ansätze im Vergleich. Dies ermöglicht meinen TeilnehmerInnen in kritischer Reflexion ihren eigenen Stil zu entwickeln bzw. in der Praxis die notwendige Flexibilität zu haben, passgenaue und hilfreich Aufstellungsarbeit zu leisten. 

Und jetzt interessiert mich, was für dich an der Aufstellungsarbeit hilfreich ist, als Kunde in der Beratung oder als Lernende(r) in Weiterbildungen.

Ich freue mich über jede Anregung und geteilte Erfahrung im Kommentarbereich!

Schreibe einen Kommentar