Vertraute Sprache und ihre Entdeckung – Peter Schlötters Studie zur Raumsprache

Empirischer Beleg für das Phänomen der repräsentierenden Wahrnehmung

Wissenschaftliche Studien zu Familienaufstellungen oder Systemaufstellungen gibt es bislang noch wenige. 36 mehr oder weniger wissenschaftlich solide zählt Jan Weinhold 2014 anlässlich seiner Wirksamkeitsstudie „Dreierlei Wirksamkeit“.

Umso erfreulicher ist Peter Schlötters quantitativ-qualitative Dissertationsstudie aus dem Jahr 2004 zu dem für Aufstellungen aller Art zentralen Phänomen der repräsentierenden Wahrnehmung.

Zwar wird in einer Bewertung auf Amazon bemängelt, dass der wissenschaftliche Beleg der repräsentierenden Wahrnehmung überhaupt ja keine große Erkenntnis sei:
„Ein sehr praktisches Buch, denn es genügt Fritz Simons Vorwort zu lesen um festzustellen, dass hier am eigentlich relevanten Thema vorbeistudiert wurde. Die Aussage, die hier aus einer mühseligen Untersuchung gezogen wurde ist lediglich und einzig die, dass das, was in Aufstellungen passiert, kein Zufall ist. „.

Aber für alle, die Aufstellungen nicht selbst erlebt haben und mithin für die akademisch-wissenschaftliche Gemeinschaft ist der empirische Nachweis der repräsentierenden Wahrnehmung eine ganz neue Erkenntnis.

Repräsentierende Wahrnehmung kein Zufall, sondern Abhängig von der Position in Aufstellungen

Was aber genau wurde in der Studie erforscht?

Die Studie konnte eindrucksvoll belegen, dass die sogenannte repräsentierende Wahrnehmung kein Zufallsprodukt darstellt. In ca. 3000 Versuchen wurden etwa 200 Versuchspersonen an die gleichen Positionen in einer Handvoll Aufstellungsbilder aus echten Beratungsfällen geführt und standardisiert zu ihren Körperwahrnehmungen und Emotionen befragt. Es zeigte sich, dass sie an den gleichen Positionen hoch signifikant ähnliche Empfindungen hatten.

Was bedeutet das?

Dies zeigt, dass Menschen abhängig von der Stellung in einer räumlichen Anordnung von Personen bestimmte ähnliche Körperwahrnehmungen und Gefühle empfinden, z.B. das Gefühl der Zugehörigkeit, des Ausgegrenztseins, des im Zentrums-der-Aufmerksamkeit-Stehens, oder des Gefühls dominiert zu werden oder nichts zu sagen zu haben. Diese Gefühle haben dabei nichts mit dem persönlichen Hintergrund zu tun, sondern sind rein durch die Stellung in der Personenkonstellation induziert!

Offenbar bedeuten bestimmte Positionen in bestimmten Konstellationen etwas für die Beziehung zur Gruppe. Schlötter bezeichnet dies Phänomen deshalb auch als Raumsprache, die von einer Gruppe gesprochen wird.

Welche Bedeutung hat der wissenschaftliche Nachweis der repräsentierenden Wahrnehmung?

Repräsentierende Wahrnehmung doch noch mehr als nur Raumsprache?

Zunächst einmal ist nicht sicher, ob mit dem Nachweis der Bedeutung von Positionen in Personenkonstellationen auch wirklich alles empirisch nachgewiesen wurde, was Aufsteller unter der repräsentierenden Wahrnehmung verstehen. So vermutet Matthias Varga von Kibéd, der Vater der Methode der Strukturaufstellungen, in Schlötters Studie auch lediglich den Nachweis einer Vorform der repräsentierenden Wahrnehmung, die er geometrische Wahrnehmung nennt.

Ein anderer Hinweis, dass hier noch mehr über die räumliche Konstellation hinaus wirkt, geben z.B. auch Integrationsaufstellungen (z.B. im Lebensintegrationsprozess), bei denen zwei Repräsentanten gegenüberstehen und nach kurzer Zeit in Resonanz gehen, d.h. etwa ähnliche Haltungen annehmen oder von ähnlichen Körperwahrnehmungen und Emotionen berichten. Weitere Hinweise geben Aufstellungen, bei denen (zunächst) nur ein einzelner Repräsentant aufstellt wird und alleine schon deutliche körperliche und emotionale Veränderungen zeigt. Hier fehlt die Konstellation, von der die nachgewiesene Wirkung der Raumsprache ausgeht in der Aufstellung ja ganz.

Aufstellungen als ernstzunehmende Beratungsmethode für Privatpersonen und Organisationen

Letztendlich aber ist der Nachweis ein erster Schritt auf dem Weg einer wissenschaftlichen Erforschung der Aufstellungsarbeit und damit auch ein erster Schritt hin dazu als Methode weithin über private Therapie und Coachings hinaus ernst genommen zu werden. Dies ist auch eine der Motivationen für Herrn Schlötter gewesen, der die Methode seit Jahren erfolgreich für Wirtschaftsunternehmen als Organisationsberatung anwendet.

Er verrät in seiner Studie auch das besondere Potenzial, das er in Aufstellungen gegenüber anderen Beratungsmethoden sieht:

Er versteht Aufstellungen als ein weiterer „Königsweg zum Unbewussten“. „Die Informationen, die in einer [System]aufstellung auftauchen, tauchen als Integration vieler Einzelkommunikationen auf.“ (Schlötter, S. 201)
Über diese wird in der Aufstellung meta-kommuniziert wird.  Das bedeutet, dass in einer Aufstellung durch die Aufstellung darüber in der Raumsprache „gesprochen“ wird, wie Personen zueinander stehen und zwar aufgrund von vielen einzelnen Erfahrungen miteinander.

Als Beispiel aus einer Familienaufstellung führt Schlötter an: Wie steht ein Sohn zu seinem Vater, wenn er von diesem regelmäßig geschlagen wurde?

Recht selbstbewusst formuliert Schlötter am Schluss seiner Studie die Hoffnung mit dem Nachweis der repräsentierenden Wahrnehmung eine neue Forschungsdisziplin im Keim angelegt zu haben. Nun gehe es um Fragen nach der Genese, den Eigenschaften und der Funktion dieser Raumsprache.

 

Fazit:

Empfehlenswert für alle, die sich eingehende mit dem Phänomen der repräsentierenden Aufstellung beschäftigten wollen.

 

 

 

 

 

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