Herkunft, Name, Identität – ein persönlicher Beitrag

Von Crueger zu Prisor

2016 war ein ereignisreiches Jahr für mich: Ich habe den Namen meines Vaters angenommen, geheiratet und bin 40 geworden! Nun heißen wir alle – meine Frau und meine beiden Kinder – Prisor und sind so auch nach außen einmal mehr zu einer Familie zusammengewachsen.

Dem vorweg ging ein langer –  wie im Märchen tatsächlich siebenjähriger – Veränderungs- und Entscheidungsprozess:  Viele eigene Aufstellungen, in denen ich symbolisch meinem Vater gegenüberstand und Schritt für Schritt zu ihm fand, mich versöhnte und ihn als meinen leiblichen Vater anerkannte.

Denn meine ersten 17 Lebensjahre hatte ich keinerlei Kontakt zu ihm, ja wusste nicht einmal seinen Namen. Seit meiner Geburt trug ich den Namen Crueger, den meine Mutter aus ihrer ersten Ehe mitgebracht hatte.

Versöhnung in 3 Schritten

In wie vielen Aufstellungen ich meinem Vater in diesen sieben Lehrjahren gegenübergestellt wurde, weiß ich nicht. Aufschlussreich für die Wirkung von Aufstellungen aber war der schrittweise Prozess der Annäherung an und Annahme von meinem Vater:

1. Ablehnung
In den ersten Aufstellungen lehnte ich meinen Vater ab: „Ich brauche keinen Vater; ich bin auch ohne ihn groß geworden! Mein Vater war nicht da und hat mich im Stich gelassen!“ Ich stand eng bei meiner Mutter und mein Vater höchstens am Rande der Aufstellung.

2. Annäherung, Demut, Entlastung
Später näherte ich mich ihm an und wurde ihm – mit Abstand – gegenübergestellt. Ich fühlte die tief verborgene Trauer und Einsamkeit des kleinen Kindes in mir sowie die Überheblichkeit des Jugendlichen, die in der Ablehnung meines Vaters mitschwang. Und je mehr ich mir erlaubte, in den Aufstellungen diese Trauer und Bedürftigkeit zu fühlen, desto erleichterter und geerdeter fühlte ich mich gegenüber meinem Vater. Ich war schließlich sein Sohn und er hatte mir das Leben gegeben, auch wenn er dann nicht für präsent gewesen war.

3. Hinwendung und Annahme
Am schwersten fiel mir der letzte Schritt, die aktive Hinwendung zu meinem Vater: „Hatte nicht er uns verlassen? Wieso nun sollte ich auf ihn zugehen? War es nicht alles seine Schuld?“

Der entscheidende Schritt auf ihn zu verlief dann zunächst über meinen Bruder väterlicherseits, den mein Vater nach mir mit einer anderen Frau bekommen hatte. In der letzten Aufstellung im Dez. 2015 stand er neben meinem Vater. Zu ihm zog es mich. Und wir sind uns tatsächlich recht ähnlich und mögen uns sehr. Zu ihm zu gehen und mich so neben meinen Vater zu stellen fiel mir leichter. Von da war es dann nur noch ein ganz kleiner Schritt in die Arme meines Vaters. Zum Loslassen, Klein werden und spüren der Sehnsucht und Trauer.

4. Nur eine Aufstellung? – Der Realitätscheck
Obwohl diese Aufstellung emotional sehr bewegend und stimmig gewesen war, beschlich mich anschließend wieder ein alltbekanntes Erleben: War nun wirklich noch ein Handeln notwendig oder sinnvoll? Der Namenswechsel? Oder reichte das alles nicht schon aus? Die Aufstellungen und das Vertrautwerden über die letzten 20 Jahre? Konnte ich meinen Gefühlen aus der Aufstellung trauen? Sollte ich sie, mich, überhaupt so wichtig nehmen?

Eine Nacht schlief ich darüber, dann rief ich meinen Vater an und teilte ihm mit, dass ich seinen Namen annehmen wolle. Die Reaktion überraschte selbst mich: Schweigen. Ihm blieb die Stimme weg und nur heiser und unter Tränen, konnte er weiterreden und seine Freude ausdrücken. Und mir ging es ebenso. Sobald ich es gesagt hatte, blieb auch mir die Stimme weg und die Tränen schossen mir hoch.

Dies war für mich die Bestätigung der Aufstellung im Leben. Und der Hinweis, dass in der Beratung Schritte nur simuliert und ausprobiert werden, im Leben aber gegangen werden müssen.
Der Rest war dann Bürokratie: Antrag und Begründung der Namensänderung und dann: Warten und Bangen auf den Bescheid. Er kam schließlich drei Wochen vor meiner standesamtlichen Hochzeit: Nun heiße ich Jan Prisor.

Und nun? Ein Wechsel der Blickrichtung:
Nach vorn aufs Leben!

Und nun? Bin ich durch den Namenswechsel ein anderer Mensch geworden? Was hat es gebracht? War das alles notwendig?

Solche Fragen kann man – von außen betrachtet – mit Recht stellen. Immerhin war es ein bürokratischer Aufwand verbunden mit ansehnlichen Gebühren. Und die Vergangenheit ist damit auch nicht ungeschehen. Ich bin nach wie vor ohne Vater aufgewachsen. Also wozu das alles?

Für mich war der Namenswechsel wie ein Schlussstein zu einer jahrzehntelangen Beschäftigung mit dem Thema Vater. Oft habe ich mit dem Schicksal ohne Vater aufgewachsen zu sein gehadert und dort die Entschuldigung oder den Grund für vieles gesucht. Ich habe oft nach hinten, auf meine Vergangenheit geschaut.

Das hat sich mit der Namensannahme grundlegend geändert. Mit dem Namen meines Vaters habe ich innerlich auch diese meine und unsere Geschichte angenommen. Ich habe mich – im Aufstellungsbild gesprochen – meinem Vater zugewandt und ihn integriert und gleichzeitig die zu enge bzw. einseitige Bindung zu meiner Mutter bearbeitet.

Meine Perspektive ist nun nach vorne gerichtet, in die Zukunft. Ich bin 40; habe zwei Kinder; bin verheiratet und alles, was ich nun erreichen möchte – innerlich und äußerlich – liegt in meiner Verantwortung. Ich habe mein Leben so angenommen, wie es ist.

Und auch wenn es für mich oft noch ungewohnt ist, mit Prisor zu unterschreiben, schwingt darin nun leiser Stolz und nicht mehr die Geschichte, ein vaterloses Kind gewesen zu sein, mit.

Ich stehe nun auf zwei Beinen.

3 Gedanken zu „Herkunft, Name, Identität – ein persönlicher Beitrag“

  1. Ein eindrucksvoller Bericht über die Verknüpfung von Aufstellung und Leben. Herzlichen Glückwunsch zu diesen vielen Schritten in dein Leben als Mann.

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