Die Logik der Gefühle – Luc Ciompis Affektlogik 

Welche Rolle spielen Affekte und Emotionen in Aufstellungen, Coaching und Therapie?

In den letzten 20 Jahre ist durch Neurobiologie und Psychologie das Zusammenspiel von Verstand und Emotionen neu bewertet worden.

Längst gilt auch in der Wirtschaft und dem Marketing der Mensch nicht mehr als „homo ökonomicus“, der rein rational entscheidet. Und spätestens seit der Hirnforscher Antonio Damasio die zentrale Rolle von Bauchgefühlen („somatischen Marker“) für Entscheidungen erforscht und bekannt gemacht hat, ist klar, dass unser traditionelles durch die Aufklärung geprägtes Bild vom Vernunftmenschen einseitig ist: 

Emotionen und Körperfeedback sind für unsere Handlungssteuerung mindestens so zentral wie unser Verstand.

Nichtsdestotrotz sickert diese Erkenntnis und deren Konsequenzen nur ganz langsam in unsere Kultur und deren Institutionen. In der Schule gilt nach wie vor „kogntive Aktivierung“ statt ein emotionales Mitnehmen, als Königsweg zum Lernen. 

Die Affektlogik lässt auch unsere westliche, noch immer einseitig rational geprägte Kultur in einem ganz anderen Licht erscheinen. Sie reiht sich damit ein in eine Reihe von Forschungen, die den Körper und seine (affektiven) Reaktionen endlich angemessen berücksichtigen. 

Dazu eine kleine Geschichte aus meiner Biografie:

Woher weiß ich, was ich will – wer ich bin?

Im Studium habe ich einmal die psychologische Beratungsstelle meiner Uni aufgesucht, weil ich Zweifel an meiner Studiumswahl hatte. Ich landete bei einem Psychoanalytiker, der mich reden und reden ließ. Nach drei Sitzungen hatte ich die Schnautze voll. Nur Reden reichte mir nicht. So konnte ich ihm alles – aber eben auch „alles“ – erzählen.

Was aber davon hatte Bestand? Hier fehlte mir Substanz, eine Rückmeldung, was für mich wirklich stimmte und bedeutsam war. Der Psychoanalytiker wollte sie mir nicht geben und in meinem Kopf drehten sich die Gedanken auch ohne einen Halt zu finden.

Später dann fand ich diese Rückmeldung, diesen „Kompass“, im eigenen Körper und Gefühl. Mehr und mehr lernte ich wieder, diesen und seine Reaktionen wahr- und ernst zu nehmen. Und mit je mehr ich diesen körperlichen Rückmeldungen vertraute, desto mehr fand ich zu mir Selbst und … zur Aufstellungsarbeit, um auch anderen diesen Zugang zu erschließen. 

Die Affektlogik als Schlüssel für den Umgang mit Menschen

Das, was mich damals umtrieb, habe ich diese Tage auf sehr bestechend einfache und klare Weise in Luc Ciompis Affektlogik formuliert gefunden: Die Vermutung, dass Affekte und Körperreaktionen einerseits und Kognitionen andererseits engstens zusammenhängen. Gern möchte ich die Grundgedanken mit dir teilen: 

Schon lange glaubte ich, dass Affekte und unser Körper in Lern- und Entwicklungskontexten – so auch Coaching, Beratung und Therapie – eine viel zentralere Rolle spielen sollten – gleichbereichtigt mit Verstand. 

Compis Affektlogigk hat mich nun noch einmal darin bestätigt: Seine Sicht auf Affekte und Emotionen hilft insbesondere, Aufstellungsarbeit und überhaupt die zentrale Rolle von Affekten und Emotionen in Beratungs- sowie Lern- und Entwicklungsprozessen nicht nur zu begreifen, sondern auch gezielt zu nutzen. 

Affekte als körperliche Zustände motivieren uns zum Handeln

Affekt definiert Ciompi dabei als Überbegriff für alle Art von Gestimmtheit und Emotionalität. Auch Gelassenheit z.B. zählt so als Affekt. 

Und nach Ciompi haben Affekte die biologische Funktion, uns – konkret unseren Körper – zum Handeln zu energetisieren (oder zu hemmen). Dies geschieht durch die Aktivierung von physiologischen Prozessen – Herzschlag, Atmung, Regulation des Blutdrucks und überhaupt des Nervensystems. Affekte und damit auch Emotionen sind also letztlich zunächst körperliche Zustände, die mit Erfahrungen und Bewertungen verbunden sind.

Dies führt dann körprliche auch zu einem Bewegungsimuls in Bezug auf das auslösende Objekt: Grundlegend entweder ein Hin-zu bei positiver Affektivität oder Weg-von bei negativer affektiver Gestimmtheit. Und wenn sich Affekte mischen, kommt es auch mal zu wiedersprüchlichen Impulsen – das kennen wir alle!

So löst eine Schlange, die vor uns auf dem Weg liegt, bei den meisten von uns Schreck und ein Zurückweichen aus; ein Stück Kuchen auf dem Tisch vor uns eher Freude und Essenslust. Wenn allerdings eine Schlange und ein leckeres Stück Kuchen gleichzeitig vor uns auf dem Tisch liegen, haben die meisten von uns einen Problem und sind Hin- und Hergerissen. 

Ebenso geht es uns – in abgeschwächtem Maße – mit Vorstellungsbildern. Auch die können uns körperlich positiv anziehen oder abschrecken. 

Welche Rolle spielen Affekte in der Aufstellungsarbeit

Affekte vermitteln sich dabei hauptsächlich nonverbal über Körpersprache, Intonation, Blick, Haltung, Nähe und Abstand, etc. Gerade diese nonverbale Kommunikation speilt ja auch in der Aufstellungsarbeit zwischen den StellvertreterInnen eine wichtige Rolle. In Aufstellungen erleben und nutzen wir eben diese „Sprache der Affekte“ – die ja wesentlich für die Beziehungsgestaltung ist. 

Die Verbindungen zur Aufstellungsarbeit sind  also augenfällig:

Die Körperreaktionen und Bewegungsimpulse lassen sich nach Ciompis Affektlogik als Affekte und somit psychophysische größtenteils unbewusste, automatische Reaktionen verstehen. Das Körperfeedback der StellvertreterInnen wie auch des/ der FallgeberIn selbst beruhen demnach auf Affekten, die anzeigen, wie sie Situation, eine Beziehung oder ein aufgestelltes Vorstellungsbild automatisch affektiv wirkt.

Dieses Feedback gibt uns dann wichtige Hinweise, ob unsere bewussten Absichten, z.B. Ziele oder die Aufgabe mit einer Person zusammenzuarbeiten oder zusammenzuleben mit unseren Affekten in Balance oder in Konflikt steht. Welche Affekte ein bestimmtes Bild in uns auslösen, hängt natürlich einerseits mit unserer menschlichen Biologie als auch mit unseren individuellen Lernerfahrungen zusammen.

Um ein Lösungsbild zu erarbeiten, leiten uns dann Fragen, wie: 
Was braucht es an innerer und äußerer Klärung, dass wir uns ganz auf etwas, eine Person oder ein System einlassen können. Wo ist ein guter, stimmiger Platz für mich im System? Die Antworten gibt dabei stehts die körperliche Rückmeldung der / des KlientIn bzw. die Körper der StellvertreterInnen in Aufstellungen – kurz die sogenannte repräsentierende Wahrnehmung. 

Affekte verändern unsere Kognitionen

Ein weiterer zentraler Aspekt der Affektlogig ist, dass Affekte ein Schalt- und Filterfunktion auf unsere Kognitionen, sprich Wahrnehmung, Erinnerung, Urteilen, Folgern, Planen, Entscheiden, etc. haben. So ist die Welt(sicht) des Glücklichen, wie Wittgenstein sagte, eine völlig andere als die des Unglücklichen.

Auch deshalb ist die Arbeit mit Affekten in Beratung und Entwicklungsprozessen so zentral: Wenn wir unsere Klienten in einen anderen affektiven Zustand bringen, verändert sich automatisch auch ihre Sichtweise des Problems. Umgekehrt erzeugt das Problem natürlich auch einen bestimmten Affekt. Das gleiche Problem in einem anderen affektiven Zustand betrachtet ist somit nicht mehr das gleiche Problem. 

Willst du mehr über die Affektlogik erfahren?

Wer mehr zur Affektlogig wissen möchte, dem empfehle ich als leichten Einstieg Interviews von 2022 mit Luc Ciompi zu seiner Affektlogik

Wer die „Sprache der Affekte“ und ihre beziehungsregulierende Wirkung bewusst erleben will, dem empfehle ich als TeilnehmerIn oder FallgeberIn an einer Aufstellung bei mir teilzunehmen

Dies ist aus meiner Sicht auch der beste Weg, mit seinem Körper und seinen Affekten bewusst in Kontakt zu kommen  und sich selbst besser zu begreifen und regulieren zu lernen.