Aufstellungen und die Freiheit zu spüren, was ist.

Aufstellungen ergreifen oft alle Beteiligten – selbst die Beobachtenden und die StellvertreterInnen, nicht nur den/ die FallgeberIn. Sie fördern gegenseitiges Verständnis, Empathie und ermöglichen Lösungen in verfahrenen Beziehungen. 

Doch wie ist das möglich? Und was geschieht eigentlich in Aufstellungen?

Die aus meiner Sicht stimmigste und hilfreichste Antwort sei hier in zwei Thesen skizziert (vgl. dazu Diana Drexler: „Einführung in die Praxis der Systemaufstellungen“, Carl-Auer-Verlag, 2015.): 

  1. Aufstellungen eröffnen einen Raum, in dem die eigenen körperlichen und emotionalen Wahrnehmungen gespürt und benannt werden dürfen. 

Das ist nicht selbstverständlich, denn im Laufe unserer Sozialisation bis heute gab und gibt es zahlreiche Situationen, in denen das eigene Spüren mit den Aussagen, (Rollen-)Erwartungen und Regeln der Gesellschaft in Konflikt gerät.

Aufstellungen aber öffnen einen Wahrnehmungs- und Spürraum: Der Schlüssel dazu ist die sogenannte „phänomenologische Haltung“. Diese muss dazu von der Leitung vorgelebt werden und ermöglicht werden: Sie öffnet ihre Wahrnehmung, indem sie möglichst ohne Urteil, ohne Absicht und neutral zuhört und hinschaut. 

Dadurch lädt sie implizit und explizit auch die StellvertreterInnen ein, ihrerseits wahrzunehmen, wie es ihnen an den Positionen in der Aufstellung geht und dies ohne Wertung in einfachen Worten zu benennen. Statt um Metareflexion und „sprechen über“ die Beziehungen und den Fall ( wie in klassischer systemisch-konstruktivistischer Therapie und Beratung), geht es um möglichst einfache, reine Wahrnehmung und Benennung des emotionalen und körperlichen Erlebens der Stellvertreter in der aufgestellten Beziehungskonstellation. 

Eine Aufstellung ist also die implizite Einladung an alle Beteiligten, in einen inneren Suchprozess zu gehen, ihr sinnliches Erleben zuzulassen und in Worte zu fassen. Das Ergebnis sind dann oft einfache metaphorische Aussagen über körperliches Erleben:

„Ich fühle mich freier im Brustbereich!“

„Ich habe einen Kloß im Hals. 

„Meine Beine sind schwer.

Daraus ergeben sich dann angemessene Interventionmöglichkeiten, z.B. Blickkontakt herstellen lassen, Stellvertreter umstellen oder anders ausrichten lassen. Folgt man als Leitung diesem Dialog mit den Stellvertretern und achtet gleichzeitig darauf, dass auch der/ die FallgeberIn in gutem Kontakt mit dem Aufstellungsgeschehen ist, ergibt sich daraus mit etwas Glück eine gute Lösung: Eine Konstellation, in der sich alle Stellvertreter besser zueinander in Beziehung erleben.

  1. Aufstellungen bilden das subjektive innere Bild des/der FallgeberIn ab, nicht die Wirklichkeit. 

Aufstellungen stellen Beziehungsdynamiken oftmals sehr stimmig dar. Es kommen sogar Informationen über die Beziehungdyanmiken ans Licht, die selbst dem/ der FallgeberIn nicht bewusst waren. Immer wieder werden auch angebliche Fernheilungswirkungen als Argument angeführt, etwa in der Art: 

„Als ich von meiner Aufstellung nach Hause kam, klingelte das Telefon und mein Bruder, der mich seit Jahren ignorierte, rief mich auf einmal an.“ 

Diese Beobachtungen wurden und werden von Aufstellenden und Klienten manchmal als Hinweis gesehen, dass wir über die StellvertreterInnen in einer Aufstellung Kontakt zu einer tieferen Wirklichkeit haben. Und zwar zu der Wirklichkeit des nicht anwesenden Systems, sei es eine Familie oder eine andere Konstellation. 

Spekulationen gingen sogar soweit, dass durch Aufstellungen medial mit Verstorbenen Kontakt aufgenommen werden kann und Energien befriedet werden können, die den KlientInnen anhaften. Aufstellungen werden so zu etwas wie esoterische nBeschwörungsritualen. Mit systemisch-konstruktivistischer Beratung haben Aufstellungen dann wenig gemeinsam. 

Diese Sichtweise halte ich gleich mehrfach für gefährlich: 

a) Aufstellungen werden so zu esoterischen Beschwörungsritualen

Zum Einen wird die Aufstellungsleitung dann zu einer Art Geisterbeschwörer: Durch ihre besondere phänomenologische Schau hat sie Zugang zu dem verborgenen Beziehungswissen, dass sie als Lösung für den/die FallgeberInn in der Aufstellung erkennt und verschreibt. Wer dies nicht annimmt, ist dann im Widerstand oder „noch nicht so weit“. Dies lädt Besserwisserei und Machtmissbrauch ein, dient aber nicht einer emanzipatorischen, die Selbstverantwortung aktivierenden Beratung oder Therapie auf Augenhöhe.

b) KlientInnen sind abhängig von der Auflösung/ Befriedung der Geister

Zum Anderen lädt es die KlientInnen von Aufstellungen zu dem Glauben ein, wenn nicht die verborgenen Energien oder vergangenen Beziehungen befriedet und geklärt werden, können sie in ihrem aktuellen Leben nicht glücklich werden. Auch dies erzeugt eine Abhängigkeit und Opferhaltung von der Vergangenheit bzw. der Auflösung entsprechender Energien/ Zusammenhänge, statt dass es meine KlientInnen stärkt, ihr Leben aktiv und selbstbestimmt in die Hand zu nehmen.

Werden in Aufstellungen dagegen nur die inneren Bilder der KlientInnen aufgestellt, so nimmt sich die Sache wesentlich profaner aber auch gestaltbarer aus: 

Wir arbeiten dann mit den Bildern von Beziehungen, den Bildern von Vater, Mutter oder von der Beziehung zu ihnen, etc. Es geht dann um innere Loyalitäten, Erwartungen, Polarisierungen, Identifikationen, die in einer Aufstellung bearbeitet werden können. 

Die Rückmeldungen der StellvertreterInnen zeigen dann an, ob die von der Leitung vorgeschlagenen Interventionen stimmig sind. Und wenn der/die FallgeberIn mit der Aufstellung in guten Kontakt/ Resonanz ist, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass diese Veränderungen in der Aufstellung auch von ihr wieder internalisiert werden:
Das Lösungsbild wird dann zum neuen inneren stärkendem Bild. 

In diesem Sinne möchte ich abschließend die drei der fünf Freiheiten von Virginia Satir zitieren, die den öffnenden Raum, wie ich ihn mir in Aufstellungen wünsche, treffend charakterisieren. Aufstellungen sind eine Einladung dazu: 

Die Freiheit, das zu sehen und zu hören, was im Moment wirklich da ist, anstatt, was sein sollte, gewesen ist oder erst sein wird. 

Die Freiheit, das auszusprechen, was ich wirklich fühle und denke, und nicht das, was von mir erwartet wird. 

Die Freiheit, zu meinen Gefühlen zu stehen, und nicht etwas anderes vorzutäuschen. 

Virginia Satir

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